Wie alles anfing...

Rudi, das ideale Haustier

Wie in vielen Familien gab es in den sechziger Jahren auch bei uns zu Hause eine Schildkröte. Sie machte keinen Dreck, fusselte nicht, war preisgünstig, also das ideale Haustier. Rudi ruderte an den Wänden seiner Holzkiste in der Küche vor sich hin, machte den ganzen Tag vergeblich Ausbruchsversuche, fraß nie und überlebte die Winterstarre nicht. Das Tier tat mir als Achtjährige grenzenlos leid, aber was hat man in dem Alter schon für Möglichkeiten, außer es ab und zu mit auf den Spielplatz zu nehmen? 

Nach dieser Erfahrung war für meine Eltern das Thema Haustier erstmal vom Tisch, aber mein größter Wunsch war und blieb: eine eigene Schildkröte. 

Zu dieser Zeit wurden Griechische Landschildkröten zu Zehntausenden unter schlimmsten Bedingungen in die Zoohandlungen Nordeuropas verfrachtet. Gestapelt in den Transportkisten unter Deck der Frachter oder auf den Ladeflächen der LKWs müssen sie qualvoll gelitten haben. Die letzten Überlebenden wurden für 5 DM im Zoohandel angeboten. Aufgrund dieser Praxis wurden sie bekanntlich in ihren Heimatländern innerhalb weniger Jahre stark dezimiert. Andererseits hat genau dieser Sachverhalt sicher vielen Landschildkröten das Leben gerettet, denn sie galten und gelten vielerorts als Schädlinge und werden auch heute noch erschlagen oder wandern in den Kochtopf. Zudem sind in den letzten Jahren die Bestände durch Biotopveränderungen (Tourismus!) gefährdet.                                                                                

Klops und Plato

Kurz vor meinem 12. Geburtstag schloss ich mit meiner besten Freundin einen Deal ab. Konspirativ mit einem Löwenzahnblatt bewaffnet betraten wir das örtliche Zoogeschäft und wedelten damit über einem von Schildkröten wimmelnden Pappkarton. Diejenige, die als erste einen kräftigen Happen abbiss, wurde erwählt. Wenige Tage später wurde die Schildkröte mir als Geburtstagsgeschenk überreicht - mit einer roten Schleife um den Panzer. Geburtstagsgeschenke gibt man nicht zurück, also durfte ich sie behalten. Wir nannten sie "Klops" wegen ihrer kreisrunden Form.

Ein paar Wochen später kam Plato, eine zweite Griechische Landschildkröte, dazu. 

Die beiden wurden nicht unter perfekten Bedingungen gehalten, aber immerhin hatten wir inzwischen einen Garten. Die beiden verbrachten fast das ganze Jahr draußen in einem sandkastengroßen Gehege auf dem Rasen, bekamen Tomaten und Salat und wurden oft vergessen, was den Vorteil hatte, dass sie wenigstens ihre Ruhe hatten. Durch einen glücklichen Zufall waren es zwei Weibchen, die sich gut vertrugen. Vielleicht konnten sie aber auch einfach ihre typischen Verhaltensmuster in dem viel zu kleinen Gehege nicht ausleben. 

Die heute noch in Gefangenschaft lebenden Griechischen Landschildkröten aus den Sechzigern/ Siebzigern sind in der Mehrzahl Weibchen. Wurden sie vermehrt eingefangen? Sind Weibchen robuster? Oder gelang den Männchen häufiger die Flucht?

Klops, Plato und ich wurden gemeinsam älter und erwachsener. Während meines Studiums erbarmten sich meine Eltern, die beiden Schildkröten zu betreuen. Danach übernahm ich wieder die Verantwortung. Ohne eine Miene zu verziehen zogen sie mit mir von einem Wohnort zum anderen, bis wir uns schließlich den Traum eines eigenen Hauses auf dem Land mit einem großen Grundstück erfüllen konnten. Mit gleichmütigem Gesichtsausdruck lernten sie diverse Lebensabschnittspartner kennen, sahen meine beiden Töchter aufwachsen, wurden während meiner Auslandsaufenthalte von verschiedenen Personen betreut, teilten ihr Revier mit Hühnern, Kanninchen, Schafen, Katzen und sogar einem Pferd. Wenn ich es recht betrachte, bildeten Klops und Plato die einzige Konstante in meinem bewegten Leben. 

Schildkrötentante der Region

Viele Schildkrötenhalter kennen das: wenn erst einmal Schildkröten da sind, werden andere magnetisch angezogen. Alle möglichen Schildkröten wurden im Laufe der Zeit bei mir abgeladen: Griechen, Russen, Mauren, kranke und gesunde, stattliche Burschen und verwachsene kleine Kreaturen. Ich wurde allmählich zur Schildkrötentante der Region. Einige starben - z.B. durch falsche Behandlung durch eine unerfahrene Tierärztin oder durch meine eigene Schuld (Erfrierung in Überwinterungsbox, Raubvögel). Die meisten überlebten - sogar Rattenattacken und eisige Winter. Andere büxten aus, wurden von ihren ursprünglichen Beitzern abgeholt oder fanden ein neues Zuhause. Gisela und Lola, zwei wunderbare adulte Thb-Weibchen, sollten die Sommerferien bei mir verbringen, und ich durfte sie anschließend behalten. Sie machen mir heute noch viel Freude. Mit der Einführung der Meldepflicht wurde es schwieriger, beliebig Tiere aufzunehmen und mein Bestand stabilisierte sich.

Plato ist im Sommer 1993 entlaufen und nicht wieder aufgetaucht. Irgendwie habe ich die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben, dass ich sie eines Tages wiedersehe.

Die ersten Nachzuchten

Eier wurden hin und wieder gelegt. Geeignete männliche Partner für meine Damen fanden sich aber erst 1999 ein, als eine Züchterin in der Umgebung ihren Bestand auflöste und ich 5 Männchen gegen eine Flasche Sekt eintauschte. Von den fünf Männchen habe ich zwei behalten: Hermann und Bimbo. Der erste Bruterfolg ließ nicht lange auf sich warten. Seitdem habe ich regelmäßig Nachzuchten. 

Besonderen Dank schulden meine Schildkröten Frau Dr. Keil, die mich schon zu einer Zeit über artgerechte Ernährung aufklärte, als man in der sogenannten "Fachliteratur" noch lesen konnte, dass Nudeln, Hackfleisch und Obst das optimale Futter seien. Aber erst mit der zunehmenden Nutzung des Internet wurden mir durch den lebendige Austausch in Foren, auf Infoseiten und auf dort angekündigten Workhops die eigentlichen Bedürfnisse meiner Pfleglinge vor Augen geführt. 

 

... und wie es weiter ging

Schritt für Schritt wurde die Haltung optimiert. Es begann mit der Vergrößerung des Geheges. Dann erfolgte die Beschränkung auf die Unterart T.hermanni boettgeri. Gleichzeitig mutierten sie gezwungenermaßen von Allesfressern zu Fast-Vegetariern. Es folgte die Anschaffung von Frühbeeten und schließlich mein ganzer Stolz: das Gewächshaus! Meine Schildkröten revanchieren sich durch Gesundheit, Munterkeit, einen regelmäßigen Eiablage- und Paarungsrhytmus und gesunden Nachwuchs.

Seit 2005 bin ich Mitglied in der DGHT-AG Schildkröten. Seitdem besuche ich Weiterbildungsveranstaltungen, verschlinge alles, was an Schildkrötenliteratur zu finden ist. Seit 2006 moderiere ich in einem Schildkrötenforum. Ich gehöre außerdem zu den Mitbegründerinnen des Schildkrötenstammtisches Hannover und bin an der Organisation der Norddeutschen Schildkrötentage federführend beteiligt. Ich unterhalte Kontakte zu Schildkrötenhaltern in Österreich, Bulgarien, Griechenland, Mallorca, England und den USA. Dadurch, dass ich auch englisch- und spanischsprachige Texte gut verstehe, habe ich Zugang zu breit gefächerten Informationen und Fachdiskussionen. Jede Erkenntnis wirft naturgemäß neue Fragen auf. Durch Langzeit-Dokumentationen von Wachstum und Gewicht meiner T.hermanni boettgeri und durch die Erstellung der Datenbank "Schildanomalien" konnte ich der Fachwelt einige Daten zur Verfügung stellen. Meine Schwerpunkte sind Wachstum und Gewicht, Schildanomalien, Unterartenbestimmung, Futterpflanzen, Verhalten, Inkubation und Überwinterung.  Meine erste Publikation mit dem Titel "Das Rätselraten um die Schildanomalien" erschien 2013 im Fachmagazin "Schildkröten im Fokus". Weitere Veröffentlichungen folgten. 2017 ist mein erstes Buch "Die Überwinterung Europäischer Landschildkröten"  im Chimaira-Verlag erschienen. 

 

 

 

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